Sonntag, 29. Januar 2017

[Live-Hörspiel] The Call of Cthulhu
Freitag, 27. Januar 2017
Alfons-Jung-Saal, Wiesbaden


Vor einigen Wochen landete ein kleiner Flyer in meinem digitalen Postfach, auf dem sehr prominent der Titel The Call of Cthulhu prangte. Neugierig wie ich bin, folgte ich dem Link und fand heraus, dass es sich dabei um Werbung für ein Live-Hörspiel handelte. Stattfinden sollte das Ganze im Alfons-Jung-Saal, der Wiesbadener St. Bonifazius-Gemeinde zugehörig.

Obwohl ich mich relativ viel mit der Kulturlandschaft der hessischen Landeshauptstadt befasse, hatte ich bisher weder von diesem Saal, noch von der Existenz des Veranstalters, dem Kryptonite Radio Theater, etwas gehört. Bei dieser Gruppe handelt es sich, wie eine kurze Recherche ergab, um zumeist US-amerikanischen Schauspieler, die schon seit 2010 immer wieder Hörspiele auf die Bühne bringen. Ihr Repertoire umfasst dabei so unterschiedliche Stücke wie den Klassiker Casablanca, das Fantasy-Epos Dungeons & Demons oder King Kong.

Die Veranstaltung ist praktisch ausverkauft und ich bin froh, dass ich so früh vor Ort bin. Ein Platz in der zweiten Reihe erlaubt mir einen ungehinderten Blick auf die Bühne und ich kann mir mit ein wenig unauffälligem Geschiebe noch etwas mehr Beinfreiheit erarbeiten. Schnell besorge ich mir noch ein Getränk an der Bar, während sich der Saal immer weiter füllt. Ein kurzer Blick in die Runde zeigt ein ungewöhnlich gut durchmischtes Publikum – ich hatte dagegen mit deutlich mehr schwarz Gekleideten gerechnet.

Mit kurzer Verspätung stattet der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump (Christopher Buhr) dem Saal einen kurzen Besuch ab, freut sich über die zahlreichen Besucher, die nur seinetwegen hier sind und äußert sich abfällig über das völlig überbewertete Kryptonite Radio Theater. Als musikalische Einleitung erzählt Diana Schupp noch über ihre kurze, tragische (aber durchaus komische) Liebesgeschichte mit einem Spanier, bevor es dann wirklich losgeht.

Die Rahmenhandlung beginnt in Boston mit den beiden Polizisten, Detective Jack Mallory (David Mark) und Sergeant Nick Hale (Andrew Graham), die zu einem Tatort gerufen werden. Bei dem bedauernswerten Mordopfer handelt es sich um Francis Weyland Thurston, den Erzähler aus H.P. Lovecrafts Call of Cthulhu. Während Hale den Fall als eher alltägliches Verbrechen ansieht, vertieft sich Mallory immer weiter in die gefundenen Unterlagen und erfährt auf diesem Weg von den Forschungen die Thurstons Onkel, der kürzlich verstorbene Anthropologe Professor George Gammel Angell, angestellt hat.
Zu diesem Zeitpunkt tritt die Rahmenhandlung mit den beiden Polizisten weit in den Hintergrund und die eigentliche Geschichte startet mit dem ersten Teil "The Horror in Clay". Dabei übernimmt Laura Helmke-Long die Rolle der Erzählerin, während der Rest des Ensembles in wechselnde Rollen schlüpft.
Eben jener Professor Angell bekommt im Jahr 1925 Besuch von dem jungen Bildhauer Henry Wilcox, der in einem Traum die Skulptur eines monströsen Wesens geschaffen hat, das er Cthulhu nennt. Der Wissenschaftler hat schon früher von einem Kult gehört, der sich um diese Kreatur gebildet hat. Die Träume des Künstlers intensivieren sich und der Professor protokolliert die Inhalte akribisch. Daneben sammelt er Zeitungsberichte und befragt Freunde und Bekannte und erkennt, dass auch andere Menschen auf der ganzen Welt ähnliche Träume haben.

Der zweite Abschnitt der Geschichte, "The Tale of Inspector Legrasse", macht einen Sprung zurück ins Jahr 1908. Hier erfährt Professor Angell zum ersten Mal vom Kult des Cthulhu durch Inspector Legrasse (Michael Lee). Dieser erzählt von mörderischen Ritualen in den Sümpfen von New Orleans und zeigt den versammelten Wissenschaftlern eine merkwürdige Statue. Diese Mischung aus Drache, Tintenfisch und Mensch ähnelt sehr der Skulptur des Bildhauers und stellt die Gelehrten vor ein Rätsel. Einzig Professor Webb, eine Autorität auf dem Gebiet der Anthropologie, hat eine ähnliche Abbildung vor 50 Jahren auf Grönland bei einem degenerierten Eskimo-Stamm schon einmal gesehen. Polizist und Wissenschaftler vergleichen ihre Erkenntnisse und kommen zu dem Schluss, dass es sich um einen weltweiten Kult handelt, der den Großen Alten Cthulhu anbetet.

Daran schließt sich ein weiterer Werbeblock an, gefolgt von einer kurzen Pause. Wie schon am Anfang gibt es einen Kommentar des Präsidenten und eine Episode aus dem Leben von Diana Schupp. Diesmal singt sie den Zuhörern aus ihren bewegten Karriere auf den Bühnen der Welt vor.

Die eigentliche Geschichte wird mit dem dritten und letzten Kapitel "The Madness from the Sea" abgeschlossen. Nach dem Tod seines Onkels geht Francis Thurston weiter den Berichten über den Kult nach und reist dabei nach Neuseeland und Australien. Dort soll der Seemann Johansen (Mike Riepl) leben, der auf seinen Reisen ein merkwürdiges Erlebnis hatte. Thurston folgt Johansens Spur nach Oslo, muss aber feststellen, dass der Mann mittlerweile unter merkwürdigen Umständen verstorben ist. Jedoch hinterließ er seiner Witwe (Anna Gardner) ein Tagebuch, mit den Ereignissen seiner letzten Reise.
Auf dem Weg nach Kalau wurde sein Schiff von degenerierten Kultisten angegriffen, jedoch konnten sie diese besiegen. An Bord des feindlichen Schiffes fand Johansen eine Statue, die eine frappierende Ähnlichkeit mit den Abbildungen aus Grönland und New Orleans hatte. Auf der Weiterreise landete das Schiff, die Alert, auf einer Insel, die offensichtlich durch ein Erdbeben an die Oberfläche gehoben wurde. Die überlebenden Seeleute erkundeten die Bauwerke auf der Insel und es gelang ihnen die Tür zu einem der Gebäude zu öffnen. Aus dieser Gruft kroch schließlich jene gewaltige Kreatur, die als Vorbild für die Statuen diente. Nur Johansen und einem weiteren Matrosen gelang die Flucht von der Insel, die anderen starben vor Schreck, wurden von dem Großen Alten getötet oder von den abstrakten Winkeln der Gebäude verschlungen. Der Eintrag endet mit der Beschreibung, dass Johansen sein Boot direkt in das Monster hinein steuert und es damit zerstört. Während sich Cthulhu wieder zusammensetzt gelingt den beiden Seeleuten die Flucht, doch sie verlieren über den Schrecken den Verstand. Während der Matrose Briden stirbt, überlebt Johansen und kehrt, getrieben von schrecklichen Alpträumen, in seine Heimat zurück. Doch schon nach kurzer Zeit kommt er bei einem Unfall ums Leben und alles was Thurston bleibt, sind die Einträge in dem Tagebuch.

Damit endet die ursprüngliche Geschichte Lovecrafts und die Rahmenhandlung mit den beiden Bostoner Polizisten tritt wieder in den Vordergrund. Während Mallory sich ganz in die Aufzeichungen des Verstorbenen vertieft hat, gelingt es Hale tatsächlich einen Verdächtigen im Hafen zu lokalisieren und die Gesetzeshüter machen sich auf den Weg, um den Kultisten zu verhaften...


Diese Vorstellung des Kryptonite Radio Theater basiert auf der Adaption der H.P. Lovecraft Historical Society, die schon mehrere Geschichten des Autors im Stil alter Radio-Hörspiele aufbereitet haben.
Die sechs Schauspieler schlüpfen in die unterschiedlichsten Rollen - in einem Moment ein tapferer Polizeibeamter, wenige Sekunden später ein degenierter Kultist, eine Krankenschwester, ein Gelehrter, ein Seemann oder ein Hillbilly. Aussprache und Akzente wechseln dabei ebenso schnell wie Kopfbedeckungen und Accessoires, die den Rollenwechsel weiter verdeutlichen. Auch Mimik und Körpersprache wechseln beständig und demonstrieren eindrucksvoll die Vielseitigkeit der Beteiligten. Während meist nur zwei oder drei Charaktere direkt eingebunden sind, gibt es mehrere Szenen, in denen das komplette Ensemble gefordert ist, beispielsweise bei der Erkundung der mysteriösen Insel oder beim Kampf gegen die degenerierten Kultisten in den Sümpfen.

Die dezente, aber sehr effektive, musikalische Untermalung kommt aus der Konverse, die Soundeffekte werden dagegen live von Anna Gardner erzeugt. Mit ihren Utensilien nimmt sie den kompletten rechten Bühnenrand ein und plantscht fast zwei Stunden lang in Wasser, raschelt mit Bändern, stößt Messer in Salatköpfe, schlägt Türen zu oder klopft auf unterschiedlichste Oberflächen.

Unterbrochen wird die Geschichte auch immer wieder durch kleine (und sehr lustige) Werbejingles, beispielsweise für die neue, noch schleimigere Frühstücks-Cerealie "Cthuloops" oder Schinken-Aroma aus der Sprühdose - zur Abwehr von Veganern und Vegetariern. Auch die Gesangseinlagen von Diana Schupp, wenn auch ohne cthuloiden Bezug, sind sehr gelungen und lockern das eigentlich finstere Stück auf.

Bisher hatte ich keine Vorstellung, wie ein Live-Hörspiel funktioniert. The Call of Cthulhu hat sich als wirklich großartige Mischung aus Theater und szenischer Lesung erwiesen, die sehr gut zu unterhalten weiß. Einerseits wurde die Horror-Geschichte stimmig und sehr atmosphärisch umgesetzt, andererseits nahmen sich die Beteiligten nicht zu ernst und sorgten zwischendurch immer wieder für Lacher. Dabei agierten die Schauspieler mit sichtlich Spaß an der Sache und bescherten so den Zuschauern einen wirklich gelungenen, unterhaltsamen Abend mit einer ungewöhnlichen Veranstaltung. Es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dem Kryptonite Radio Theater einen Besuch abgestattet habe.